Poetry is very important to my art. Instead of words, I reach for physical objects that I integrate into my art. I encounter these objects in everyday life and they often have a biographical meaning. They are part of my daily life, different things that literally reveal themselves to me or prompt me to pick them up myself. Sometimes I'm not even sure who chooses whom here - whether I choose these things or rather they choose me.
When I look at these objects, an idea arises in my mind, a kind of image that I try to capture - whether by writing, drawing or memorizing. It can be a house or a realistic landscape with mushrooms. Little by little, this image develops like a poetry on the canvas, taking the lead.
So in my works, poetry and visual art merge into a unique form of expression. By incorporating everyday objects into my work I create a connection between the familiar and the unfamiliar. I invite the viewer to experience this poetic journey with me and discover a new perspective on the ordinary. Each work is a meeting of past and present, of subjective perception and universal symbolism.
As an artist, I act as the director of this meeting of poetry and the material world. My works are the result of an ongoing dialog between the selected objects or beings and my creative vision. They are not only a reflection of my individual experiences, but also an invitation to the viewer to allow their own memories and associations to flow into my art. With my works I not only want to provide aesthetic pleasure, but also create a space in which the viewer can connect with their own inner world.
I often use nature or the forest as a motif or background in my works. In doing so I not only want to capture the aesthetic beauty of nature, but also draw attention to the urgent need to rethink and nurture our relationship with the environment. The objects I find in everyday life and incorporate into my works are often witnesses to the impact of human activity on the environment. They can be remnants of consumption, waste or even pollution.
My art also harbours a utopian vision. It is an expression of my longing for a harmonious coexistence between man and nature. In my works nature appears as a place of unity and balance in which the boundaries between humans, animals and plants become blurred. It is a utopia in which we consciously connect with nature and appreciate its beauty and abundance instead of exploiting it.
Maxim Brandt
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Maxim Brandts gegenständliche Malerei bewegt sich im Grenzbereich der Fiktion und entführt den Betrachter in eine imaginäre, märchenhafte Welt voller düsterer Ungereimtheiten und Widersprüche.
Inspiriert u.a. durch die Collagen des Dadaisten und Surrealisten Max Ernst, benutzt Maxim Brandt als Vorlage für seine Malerei am Computer generierte Fotokompositionen: Für jedes neue Gemälde untersucht er vorhandenes Fotomaterial nach verwertbaren Einzelelementen, das er zu einer neuen homogenen Fotomontage zusammenfügt. Der Prozess des Montierens ist für den Künstler dabei vergleichbar mit einer „Mise-en-Scène“ im Theater, einer Inszenierung durch den Regisseur, oder mit der Tätigkeit eines Dichters beim Verfassen seiner Verse. Die Fotomontage erfährt bei der Übertragung auf die Leinwand eine erneute Wandlung, indem der Künstler während des Malprozesses Farben, Formen und Lichteinfall sowie selbst die Komposition
nochmals schöpferisch verändert. Nicht nur inhaltlich, sondern auch visuell bringt Maxim Brandt den Betrachter immer wieder aus dem Konzept, indem er sich kompositionell auf mehreren Wirklichkeitsebenen gleichzeitig bewegt und mit „Entgrenzungen“ spielt. So auch in dem hier vorgestellten Gemälde „Matrjoschka auf dem suprematistischen Spiegel“. Der Titel ist eine ironische Anspielung an den u.a. von Kasimir Malewitsch begründeten Suprematismus, der die Autonomie der reinen, zweckfreien Kunst propagiert. Maxim Brandt, Jahrgang 1986, verbrachte seine ersten Lebensjahre in der Ostukraine, wo er nicht nur mit der ukrainischen, sondern auch mit der russischen Märchenwelt in Verbindung kam. Gerade die in eigenwilligen Farben gehaltenen Illustrationen der Kinderbücher haben ihn nachhaltig beeindruckt.
Dr. Dörte Beier, Kunsthistorikerin, Schönkirchen
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Eröffnungsrede Maxim Brandt – Fantastic Imperfections
Galerie in der Wassermühle Trittau
Dr. Peter Kruska
„Fantastic Imperfections“.
Für die Ausstellung hier in der Galerie in der Wassermühle Trittau hat Maxim Brandt die Auswahl seiner Gemälde bewusst auf ein Thema reduziert: Darstellungen, Mythen und Geschichten des Waldes. Dank eines Stipendiums der Kulturstiftung des Landes Schleswig-Holstein hatte er die Möglichkeit, sich über einen längeren Zeitraum mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Ausgangspunkt war für ihn die Tatsache, dass Schleswig-Holstein das Bundesland mit dem geringsten Waldbestand ist, richtig tiefe und große Wälder bei uns eigentlich gar nicht mehr existieren. – Der Sachsenwald stellt natürlich eine Ausnahme dar. – Für Maxim Brandt selbst, genauso wie für die meisten von uns bestimmt auch, steht der Wald metaphorisch für eine gewisse Ursprünglichkeit. Die kulturelle Tradition der Märchenerzählungen verleiht ihm etwas Geheimnisvolles, Unheimliches oder auch Zauberhaftes, gleichsam ist er jedoch auch ein Areal, das ähnlich den Bildern Maxim Brandts nach seinen eigenen Regeln funktioniert.
Betrachten wir nun die Malereien von Maxim Brandt, so sehen wir keine klassischen Landschaftsgemälde, also keine mytholgisch aufgeladenen Veduten, keine verträumten Lichtungen, keine impressionistisch geprägten Farbspiegelungen auch sehen wir keine realistischen Darstellungen, die den Wald einfach abbilden oder im Sinne der romantischen Malerei das Mystische des Waldes betonen.
Ein Beispiel:
Das Gemälde „Die Notwendigkeit des Unnötigen“ kann geradezu als Kommentar zur Umweltpolitik und als kritische Aussage zu unserem Umgang mit Natur gelesen werden. Vor einem dunklen Himmel sieht man ein Waldstück, bestehend aus Bäumen ohne Laub. Mitten in diesem Waldstück ist ein Hochsitz, unter dem alte Ölfässer oder Behältnisse für Chemikalien vor sich hin rosten. Soweit eine Situation, wie wir sie in unserem alltäglichen Umfeld vorfinden könnten. Wie hinein montiert, schieben sich im Anschnitt zwei überlebensgroße Hähne durch das Bild. In Zeiten von Masthaltung, der Möglichkeit Lebewesen zu klonen oder auch globalen Diskussionen über das Freihandelsabkommen TTIP eventuell ein Verweis auf mögliche Auswüchse von Genmanipulationen. Der Hochsitz selbst ist ein vom Menschen eingefügtes architektonisches Element, nur gebaut, damit der Mensch den Wald und seinen Tierbestand – Flora und Fauna – überwachen, kontrollieren und regulieren kann. Dass der Wald in dem Gemälde von Maxim Brandt nicht erstrahlt sondern eher einer atomaren Endzeitstimmung gleicht, spricht für sich selbst. Die Zukunftsvisionen von George Orwell scheinen nicht mehr weit entfernt.
Andere Bilder, wie etwa „Made in China“, stellen sich mir wiederum als reines Spiel mit bilderzählerischen Elementen dar. Die Bilder werden in diesem Moment zu Projektionsflächen und Auslösern für unsere eigenen Geschichten und Fantastereien. Ein Waldstück über dessen überfluteten Boden zwei Hasen springen. Ganz im Hintergrund sieht man schemenhaft eine Person auf einer Waldlichtung. Auch hier verweisen die proportionalen Verhältnisse subtil auf den fabelhaften Charakter des Bildes. Ob die Hasen vor etwas fliehen oder ob sie unmöglicherweise über das Wasser schweben bleibt offen und ist eigentlich auch nicht wichtig. Viel elementarer ist, dass wir die Momentaufnahme einer scheinbar realen Situation vorgeführt bekommen, einer auf den zweiten Blick unmöglichen und surrealen Situation, von Maxim Brandt geschaffen. Vielleicht ist es aber auch ein Schnappschuss aus der Fabel vom Hasen und dem Igel, die jedoch ohne den Igel auskommen muss. Ganz im Sinne unserer heutigen Produktherstellung verweist der Titel auf den mentalen Entstehungsort des Bildes, denn die Idee zu diesem Gemälde hatte Maxim Brandt bei einem Studienaufenthalt in Südchina.
In seinen neuesten Gemälden verlässt Maxim Brandt in seinen Darstellungen die heimischen bzw. nordeuropäischen Wälder und kombiniert skulpturale und architektonische Elemente mit südlichen, tropischen und exotisch anmutenden Landschaften. Die Bilder „Tropicus“ oder „One of the few“ scheinen als Darstellungen, in denen die unterschiedlichsten Kulturen und ihre Erzeugnisse aufeinandertreffen. Architektonische Gebilde dienen ihm hier für sein Spiel mit Fläche und Form, mit Oberfläche und Tiefe mit Zwei- und Dreidimensionalität. Den Hintergrund bilden Palmenlandschaften, die teilweise aus strahlenden Neonleuchten zu bestehen scheinen. Die ursprüngliche Natur und ihre kulturelle Repräsentation treffen hier aufeinander, Elemente des Westerns können genauso assoziiert werden wie die leuchtenden Stadtlandschaften von Las Vegas. Ein auf die Staffelei gestelltes Gemälde evoziert zugleich Gedanken an die Südseereisen der Expressionisten und lässt die daran gekoppelten Diskussionen über den Exotismus und das Bild der „Anderen“ und des vermeintlich „Ursprünglichen“ in unsere aktuelle Jetztzeit rutschen.
Ein für mich zentrales Bild in dieser Ausstellung, das sicherlich nicht ohne Grund als Motiv für die Einladungskarte ausgewählt wurde und auch von dem Kieler Schriftsteller und Künstler Arne Rautenberg in dem Katalog zur Ausstellung eingehend analysiert wird ist „Dönermalerei“. Die Thematik des Waldes, Fragen der Malerei und die Entstehung und Funktion von Bildern werden in diesem Gemälde auf vielfältige Weise in einer Bildfläche zusammengefasst und komprimiert. Da gibt es die von uns allen meist übersehene und als naiv bewertete Wandmalerei. Die dargestellte Landschaft hat Maxim Brandt als Wandmalerei in einem Hamburger Dönerladen vorgefunden. Ein Gespräch mit einem Künstlerkollegen über den Kunststatus dieses Bildes veranlasste ihn dazu, die Malerei zu fotografieren und als eigene Malerei in sein eigenes Gemälde zu transponieren. Ein Spannungsverhältnis zwischen naiver Malerei und „hoher“ Kunst wird eröffnet. Neben dem angeschnittenen Tondo ist eine gemalte Holzfläche, die erst durch das auf einen Zettel gemalte und angeheftete Auge und die herauslugende Hand zur menschlichen Figur wird, die dennoch in der Fläche verharrt. Die kleinbürgerliche Tapete im Bildhintergrund beleuchtet die visuelle Repräsentation und Abbildung von Natur in unseren Wohnungen und Häusern auf einer weiteren Ebene. Tapeten mit floralen Motiven, naive Wandmalerei und eine Fläche Furnierholz werden von Maxim Brandt in einem Gemälde zusammengeführt und zu gleichwertigen Bestandteilen eines Artefaktes, das uns im Kunstraum der Galerie begegnet, eine surreale Erzählung vorführt und gleichzeitig die elementaren Fragen der Malerei und allgemeinen Bildproduktion thematisiert. Gekrönt wird das Arrangement von einem Zitat, einem Bild im Bild, denn das blautönige Bild im oberen Bildteil ist die Miniaturkopie eines Bildes, das Maxim Brandt 2010 gemalt hat.
Sehr geehrte Damen und Herren, die Vielfältigkeit von Maxim Brandts Gemälden gäbe mir die Möglichkeit, noch weitere Aspekte seiner Bildgenese und seiner thematischen Gewichtungen zu beleuchten, doch möchte ich Ihre Geduld nicht überstrapazieren und Sie selbst auf die eigene Suche nach den Bildern und Vorstellungen lassen, die Maxim Brandts Bilder in Ihnen hervorrufen. Da sich Maxim Brandt in dieser Ausstellung jedoch so explizit auf die Auswahl von Walddarstellungen beschränkt hat, lassen Sie mich Ihnen für Ihre eigenen Betrachtungen noch seine Gedanken zum Wald mitgeben, die er mir in unserem Gespräch zur Vorbereitung meiner Einführung dargestellt hat. Für ihn ist der Wald eine Metapher für unsere Gesellschaft. Er ist unendlich, voller Gefahren und teilweise auch irrational. Den eigenen Weg in der Gesellschaft zu finden vergleicht er mit einem Weg durch den unbekannten Wald. Ein Satz, den Maxim Brandt in unserem Gespräch auch noch sagte machte mich zusätzlich nachdenklich:
„Früher konnte der Mensch im Wald verschwinden, doch heute ist es umgekehrt und der Wald verschwindet.“
Vielleicht sollten wir die Gemälde von Maxim Brandt als Aufforderung verstehen, nicht alles erklären und durchleuchten zu wollen, sondern alogischen Prozessen und einer positiven Irrationalität in unserer Gesellschaft wieder mehr Platz einräumen.
Dr. Peter Kruska
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Arne Rautenberg
Zwischen Wald und Wohnzimmer
- Anmerkungen zu den Bildern von Maxim Brandt -
Wie ein drohendes Ufo thront das gelbweiße Zirkuszelt in Maxim Brandts Bild „Ein Fall“ über dem hoch stehenden Horizont. Ein sanft gebogener Weg läuft vom Vordergrund aus durch eine vom Waldrand flankierte Rasenfläche darauf zu. Als ein Vorbote des Wunders sieht man am vorderen Wegrand eine schwebende Scheibe im Gelb des Zirkuszeltes. In der Luft stehend wirft sie ihren kleinen Schatten und kündet von einer Spähre, in der die Naturgesetzte ausgehebelt scheinen, in der die Koordinaten unseres Wahrnehmungssystems im nicht mehr erwartbaren Sinne funktionieren.
Was ist das Zirkuszelt anderes als ein Symbol für den (geschützten) Raum der Unmöglichkeit, der Illusion, der Tricks und der Überraschung; hier wird Artistik und Zauberei vorgeführt, unseren Augen wird das Tollkühne präsentiert; die Alternative zum Bekannten zwingt uns im besten Falle etwas Neues auf, etwas, das unser Denken zu bereichern imstande ist. Das Zirkuszelt taucht in mehreren Bildern von Maxim Brandt auf, so als stände es als ein Verweis für die Kunst, ja, für Maxim Brandts Malerei selbst, denn auch in seinen Bildwelten wird gespielt, geprotzt, getrickst – diese Bilder entführen einen in eine Art Paralleluniversum, in dem das Traumhafte und Widersprüchliche sich mit dem Unbewussten und Phantastischen kreuzt. Für die Betrachter beginnt ein Spiel des Abgleichs: Was entspricht den alltäglichen Sehgewohnheiten? Wie und wo gehen die Bilder darüber hinaus? Man kennt dieses Spiel aus der surrealistischen Bildtradition, welche unter dem Begriff „Neue Leipziger Schule“ in den letzten Jahren wieder en vogue geworden, ja sogar heiß gelaufen ist.
Doch die Bildwelten von Maxim Brandt weisen Eigenarten auf. Durchs Bilduniversum des Künstlers geistern verschiedene Themen und Sujets welche durch die Werke hindurch miteinander zu sprechen und allmählich zu einer größeren Erzählung anzusetzen scheinen. Bleiben wir vorerst auf der Motivebene: Oft sind Brandts Bilder als eine Art Guckkasten angelegt, der Vordergrund wird ausgespart, über Mittel und Hintergrund wird Raumtiefe suggeriert, oftmals wird der Naturraum beschworen, kein Bild ohne Holz, könnte man sagen. Zudem sind die meisten Bilder unbemenscht. Um den Bildmittelpunkt herum arrangiert sich dieses Spannungsfeld: Natur (Flora und Fauna) vs Kultur (Behausungen, Interieueurs, durch Menschenhand geprägte Dingwelt). Was hat der Mensch mit der Natur bloß angestellt? Wo beginnt die Künstlichkeit? Wo der Zauber? Und wie schlägt die Supermacht Natur zurück (weist uns in unsere Schranken)?
Zudem werden Motive aus der Märchenwelt (Fliegenpilz) eingespeist, Sehnsuchtsorte (Limpopo, tropische Palmen) angeführt und Verweise auf die östlichen Tradition in Maxim Brandts Bildern geboten, etwa auf Väterchen Frost, die Matroschka-Puppe, die klassische Holzhütte, bzw. den typisch russischen Baum, die Birke.
Anhand einzelner Bilder lassen sich manche Themenfelder besonders ergiebig bedenken. Nehmen wir das Abbild des Hahnes im Bild „Die Notwendigkeit des Unnötigen“. In dem Maß, wie der Hahn rechts aus dem Bild heraus schreitet, schreitet er links wieder in das Bild hinein. Das negiert auf eine absurde Weise sowohl den Bildraum, wie auch das Zeitkonzept; es gibt kein Entrinnen aus dem Bildraum! – so die Botschaft; egal, was du machst, du kannst hier nicht einfach verschwinden: das Bild regiert und es hält dich fest. Was für ein Manifest für die Wucht des Bildes an sich! Da können die Hasen in dem Bild „Made in China“ noch so rennen und Haken schlagen – aus ihrem Snapshot der Ewigkeit und Ruhe kommen sie nicht mehr heraus.
Die beiden Baumgruppen der Bilder „Innere Emigration“ und „Zuflucht oder das Rätsel der zwei Punkte“ stehen jeweils als ein kraftvolles Ensemble auf einer runden Bühenkonstruktion (die perfiderweise ebenfalls aus Holz ist) inmitten dämmernder Fantasielandschaften. Stoisch und dynamisch zugleich stehen die Bäume als Ereignis auf der Bühne und eröffnen eine Raumtiefe, die weit über den hinteren Bühnenrand hinausgeht. Diese Bäumen stehen im Bild, um metaphysisch Grenzen zu sprengen und der ihnen zugeschriebenen Nutz- und Opferbereitschaft etwas entgegenzusetzen: ihnen wird ein auratisches Eigenleben zugestanden – es wird etwas spürbar von der Kraft, ja der Gewalt der Pflanzen, die wir aus dem Blick verloren haben mit all unserem Nutzsinn und den kurzen Abstechern in die neben unseren urbanen Strukturen liegenden Naherholungsgebiete. Ganz zu schweigen von dem Wurzelwerk, welches unter der Bühne die Bäume mit Kraft speist; die Bühne wirkt wie um die Bäume herum arrangiert, wie künstlich hinarrangiert, um uns Betrachtern einmal aufzuzeigen, mit was wir es hier eigentlich zu tun haben: der gestandenen, kraftvollen Masse Wald nämlich.
Als eine Art Referenzbild für die Psychoanalyse eignet sich das Bild „Reziproke Diskrepanz“ hervorragend. Eine Vierergruppe hat sich um den Tisch herum versammelt: eine Frau mit Maske, eine ineinander schachtelbare Matroschka, ein schönes Blondinenabbild und eine Person mit einem animalischen Elefantenkopf; es wird Wein getrunken, auf dem Tisch liegt ein hornloser Kuhschädel. Und während draußen, wie man durch Fenster der Holzhütte erkennen kann, die Nacht einbricht, ist innen im Raum längst der Vollmond aufgegangen. Wer will, kann bei der Betrachtung des Personal des Bildes Sigmunds Freunds Strukturmodell der Psyche ansteuern und die Figuren mit dem Es, dem Ich und dem Über-Ich in Beziehung setzen; außerdem ist das Bild eine Steilvorlage rund um weibliche Rollenklischees, um den Rausch (Alkohol) und den Tod (Kuhschädel). Irrealität als Chance für eine neue Erfahrung. Kein Wunder, dass dieses Bild im Warteraum einer psychologischen Praxis gelandet ist.
Ein bedeutsames Thema in den Bildern Maxim Brandts ist die Malerei selbst, ihre Möglichkeiten und Bedingungen.
Vordergründig bestechen die Bilder durch ihre handwerkliche Fertigkeit; sie sind in der Lage, einen regelrechten Illusionismus zu erzeugen, wenn etwa Materialität suggeriert wird, Holz oder Gold. René Magrittes Pfeifenbild mag einem da in den Sinn kommen, unter dem folgender Satz steht: „Ceci n ´est pas une pipe“ – nach dem Motto: Denk immer dran: Dies ist ein Abbild – nicht das Abgebildete selbst! Und apropòs Magritte: Zitate aus der Bildwelt der Moderne, bzw. des Modernismus sind Legion in den Bildern von Maxim Brandt: Harlekin-Kostüme (Picasso), Kegelförmige Hütchen (wie in Marcel Duchamps „Junggesellenmaschine“), in Hintergrund ein Bild mit einem roten Punkt (quasi als Kommentar auf ein Bild von Kasimir Malewitsch „Das schwarze Quadrat“), ein Hintergrundbild zitiert Van Gogh, amorphe Interieur-Kompositionen, die an Gottfried Brockmann erinnern, einsilbige Neo-Rauch-artige Titel, wie „ziel“, die ins Bild einkomponiert sind, florale Kraftstrotzereien, wie sie aus Bildern von Max Ernst bekannt sind, und der kompakt fassende, ein wenig stumpf scheinende Malduktus, wie wir ihn ebenfalls von Magritte kennen, findet sich etwa auch in dem Bild „Wald“: Auf diesem Bild erscheint ein viel Platz einnehmendes modernistisch anmutendes Bild in Pastellfarben samt Rahmen in einem nächtlichen Kornfeld vor einem Wald zwischen zwei Birken gespannt; die Abstraktion wird von der gegenstandsorientierten Malerei eingerahmt – auch das ein Statement!
Und ein Beleg für eine Methode, die Maxim Brandt in vielen seiner Bilder anwendet, in dem er ein Bild im Bild zitiert, wodurch unterschiedliche Ebenen sich durchdringen und verschachteln – und die Abbildhaftigkeit von Realität hinterfragt wird; Malerei findet so als Malerei wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück. Überhaupt, in jedem Bild von Maxim Brandt gibt es einen Ausgang, einen Fluchtpunkt, etwas, das aus dem, bzw. über das Bild hinaus weist; wenn es kein Bild im Bild ist, dann vielleicht eine Tür, ein Fenster oder spiegelndes Wasser – sie verweisen auf ein Weiteres, ein Anderes – so als wolle das Bild seinen Betrachtern sagen: Ich bin nur ein Bild und hinter mir beginnt noch ein weiteres Bild = ich bin nicht das letzte Bild, da kommt noch was.
Wichtig scheint mir bei allen epigonalen Verweisen die Frage, was heutig ist an Maxim Brandts Malerei. Hätten diese Bilder vor 80 Jahren genauso gemalt werden können? Nein – die surreale Tradition ist diesen Bildern nah, doch haben sie sich diese Tradition zu eigen gemacht und sie anhand von Zitaten über modernistische Bezüge, Wohnzimmersituationen aus den 60ern, psychedelische Malerei-Camouflage (etwa im Bild „Die Entdeckung des Privaten“) über Adidas-Trainingshosen, Jeans, bis hin zu Neon-Kunstlichtsituationen näher an unsere Jetztzeit herangemalt.
Die Botschaft ist klar: Lasst uns die surrealistische Bildtradition nicht abschreiben, sie hat uns noch etwas zu sagen! Und wenn wir uns das Bild „Dönermaler“ einmal etwas näher ansehen, so wird klar, dass der Maler ganz in der heutigen Zeit angekommen ist: Vor einer old-fashioned gemalten Tapete erscheint in der linken unteren Hälfte eine silhouettenhafte Holzbrettgestalt (wobei das Holz so gemalt aussieht, dass man sehen soll, dass es gemaltes Holz ist – wodurch Künstlichkeit evoziert wird), aus der eine Hand heraushängt und in deren Gesicht ein Papier mit einer medizinischen Grafik des Auges hängt; aus dem Körper der Holzgestalt scheinen zehn flache, krummgeschlagene Nägel auf und werfen ihre kleinen Schatten; ein seltsames Spiel ums Unheimliche, irgendwo zwischen animierter Objekthaftigkeit und Schießfigur. Die rechte Bildhälfte wird von einem ins Bild eingebetteten Halbkreis dominiert, in welchem sich eine abstruse Phantasielandschaft mit zwei Horizonten in Bob Ross-Manier befindet; kitschige Farbskalen, Sonnenuntergangslicht – und die Trickkiste der fluffigen Baummalerei werden hier offenbar, so wie sie der amerikanische Fernsehmaler Bob Ross Hunderttausenden interessierten Laienmalern in seinen Sendungen in den 70er Jahren beizubringen pflegte. Ganze Wände im Bob-Ross-Stil zieren heute die Dönerbuden dieser Republik – findet sich dort ein letztes Refugium der Landschaftmalerei? Interessant ist im Bild „Dönermaler“ die Bild-im-Bild-Idee: denn im oberen Teil des Bildes hängt an der Tapetenwand in einem schlichten Holzrahmen ein Bild in blauen Tönen, in dem Maxim Brandt eines seiner eigenen Bilder zitiert, nämlich das Bild „Don´t be afraid, I´m absolutely true with you“ von 2010; in diesem Bild sitzt ein Kind auf dem Schoß von Väterchen Frost, im Hintergrund der beiden hängt abermals ein Bild mit einer Donald Duck-artigen Figur, welche keinen klaren Kopf aufweist, dafür aber aus einer undefinierbaren Comic-Fingersituation einzelne Finger zum Viktory-Zeichen gespreizt hält. Ein Bild im Bild im Bild… weist diese Staffelung zurück in die möglicherweise biographischen Bereiche von Maxim Brandt, der seine ersten Lebensjahre in der Ukraine verbracht hat?
Tapete, Holzfigur, Phantasielandschaft und Bild im Bild geben ein sehr zeitgemäßes Ensemble aus eigentlich unmodern gewordenen Retro-Zutaten; doch es ist wie mit der zufälligen Begegnung eines Regensschirms und einer Nähmaschine auf dem Seziertisch – der Zusammenstellung haftet etwas Überraschendes, etwas Postmodern-Zeitgemäßes an, etwas das auf die große Erzählung von Maxim Brandts Arbeit verweist – deren ewige Frage lautet: Welche Geschichte spielt sich zwischen Wald und Wohnzimmer ab? Nicht weniger als die Verwertungskette von Natur zur Kultur steht hier auf dem Prüfstein. Und auch der Stellenwert der Natur für den Menschen an sich. Der moderne Mensch scheint die Welt zu regieren, er hat längst die Kraft entwickelt, diese Welt auch zu zerstören – und hat sich dabei von seinen spirituellen Wurzeln weit entfernt. Die Bilder von Maxim Brandt sind Angebote, wieder einen tieferen Einstieg ins natürliche Gebaren zuzulassen. Eine positive Option – und so ist die Grundausrichtung seiner Bilder auch eher hell als dunkel. Die Guckkastenästhetik ermöglicht uns, einen Blick in einer andere Wirklichkeit zu werfen – in eine Wirklichkeit, die noch die Welt als Wunder feiert, in der keine völlige (rationale) Greifbarkeit regiert; die Bilder von Maxim Brandt sind wie Batterien, welche die Natur erneut mit Mythos, Geheimnis, Spiritualität aufladen und damit eine tiefere Verbindung zwischen Mensch und Natur wieder herstellen. Als eine Art regulierenden Totemismus suchen sie den poetischen Moment, der unsere Vorstellungen aus den Angeln hebt. So wird verdeutlicht, dass es noch etwas anderes gibt, als ausgelatschte Wege zu gehen und Erwartungen zu befolgen. Über den Umweg der Poesie wird uns der luftige Zwischenraum präsentiert, in dem das Unvorstellbare möglich ist. Maxim Brandt eröffnet uns diese Räume, um zu zeigen, dass unsere Realität nicht das einzige ist, was uns zusteht.
Arne Rautenberg
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Axel Feuß:
Eröffnungsrede zur Ausstellung
"Maxim Brandt - Vision des Kuckucks"
Lieber Maxim Brandt,
verehrte Freunde der Kunst,
der Titel eines Gemäldes von Maxim Brandt, „Vision des Kuckucks“, das allerdings heute nicht zu sehen ist, ist zugleich Titel der Ausstellung geworden. Alles, was wir heute sehen, sind also Visionen des Kuckucks. Aber, zum Kuckuck!, wo ist denn nun dieser Vogel? Auf den Gemälden, die Hütten im Stadium des Entstehens und Vergehens, während des Untergangs bei Überschwemmungen, in Wäldern oder tropischen Gärten zeigen, ist er jedenfalls nicht zu sehen. Was aber wiederum klar ist, denn wir blicken ja mit den Augen des Kuckucks auf die Szenerie. Im dunklen Wald brennen Lagerfeuer jener Menschen, die aus der zerstörten Hütte geflohen sind, leuchten Neonreklamen. Der Mond, die untergehende oder aufgehende Sonne oder giftig gelber Himmel beleuchten das mysteriöse Geschehen.
Vor der Szene schweben hinter Lochfenstern beleuchtete sphärische blau-grüne Gebilde, mal eine gelbe Linse, die wie das Tochterschiff des gleichfarbigen Zirkuszelts im Hintergrund wirkt. An dunklen Baumstämmen kleben violett gepunktete Scheiben. Für mich sind dies Objekte aus einer utopischen fremden Welt, für den Maler vielleicht nur Farbakzente, die der Bildkomposition Angelpunkt, Perspektive, farbige Akzente oder Kontraste geben; denn Malerei sind Maxim Brandts Gemälde ja in erster Hinsicht. Ähnlich wie der Bild- und Ausstellungstitel, wir erinnern uns: „Vision des Kuckucks“, heben diese Objekte das Bildgeschehen auf eine weitere, visionäre Ebene. Vom Dach einer gerade in den Fluten versinkenden Hütte, „The House of the Rising Sun“, rutschen grüne und weiß gepunktete Scheiben und gelbe Pfannkuchen, die den berühmten zerfließenden Uhren von Salvador Dalí nicht unähnlich sind und die im Kontrast zu den aufgepeitschten Wellen eine zweite zeitliche Dimension eröffnet.
Maxim Brandt: The House of the Rising Sun, 2016. Öl auf Leinwand, 170 x 145 cm
Maxim Brandt kreiert Bildtitel (eigentlich wollte ich sagen: spielt mit Bildtiteln, denn etwas Spielerisches und Humorvolles haben seine Titel auch), Brandt erfindet also Bildtitel, die eine weitere Bedeutungsebene eröffnen, den Betrachter vielleicht in die Irre führen, ihn zum Nachdenken oder sogar zum Recherchieren veranlassen oder an sein Unterbewusstsein appellieren. Ich, Wissenschaftler, habe mich fürs Recherchieren entschieden. „Der Lockruf“ – auf dem Bild zu sehen sind mehrere angeschnittene Blutwürste, die über einer Schneelandschaft schweben – veranlasst mich sofort „Der Lockruf des Goldes“ zu ergänzen, der Titel übrigens eines 1910 erschienenen Abenteuerromans des amerikanischen Schriftstellers Jack London. Für Genießer, mich allerdings ausgenommen, sind diese Blutwürste vielleicht pures Gold.
Maxim Brandt: Der Lockruf, 2016. Öl auf Leinwand, 80 x 60 cm
„The House of the Rising Sun“, von den aufgepeitschten Wellen eines über die Ufer getretenen Flusses davongetragen, während im Hintergrund tatsächlich die Sonne über dem Zauberwald aufgeht, zitiert einen amerikanischen Folksong, den die Band „The Animals“ 1964 an die Spitze der Hitparaden katapultierte. Zu sehen ist also möglicherweise ein Haus in New Orleans für gefallene Mädchen, das hier in den Fluten untergeht, wenn denn die Geschichte so einfach wäre. Denn möglicherweise hat Brandt beim Malen des Bildes auch nur diesen Song gehört.
„Holy Wood“, heiliger Wald, und kaum einer würde nicht sofort an Hollywood denken und daran, dass er oder sie nicht schon einmal im englischen Wörterbuch nachgeschlagen haben um herauszufinden, dass Hollywood übersetzt natürlich nicht heiliger, sondern „Stechpalmenwald“ heißt. Vor diesem „heiligen Wald“ also steht ein Mann im Anzug bis zu den Knien im Wasser und blickt auf mysteriöse Lichtspiele im dunklen Wald – der Beginn eines Hollywood-Dramas vielleicht?
Maxim Brandt: Holy Wood, 2015. Öl auf Leinwand, 75 x 60 cm
„1884“, der Titel zu einem gerahmten Tableau mit Pilzen, das über einem Kornfeld am Waldrand schwebt – hier musste ich passen. Immerhin hat mich der Künstler dazu gebracht, mich ausführlich über das Jahr 1884 zu informieren, was ein immenser Erkenntnisfortschritt war. 1884 hat Mark Twain den Jugendroman „Huckleberry Finn“ geschrieben und in Afrika wurde Lüderitzland von kaiserlich-deutschen Truppen als künftige Kolonie Deutsch-Südwestafrika „heim ins Reich“ geführt. Vielleicht datierte eine historische Schautafel über Pilze, die Maxim Brandt inspiriert hat, aus dem Jahr 1884. Konkret hierzu befragt, bestätigt der Künstler diese letzte Annahme: Ein Buch, „Die vergleichende Morphologie und Biologie der Pilze“, erschienen in Leipzig im Jahr 1884, hat den Künstler, der sich schon lange mit dem Thema beschäftigt hat, zum Bildtitel inspiriert. Wirklich wichtig ist das nicht: Titel und Gemälde bilden eine Art Collage, die verschiedene Deutungen möglich macht.
Maxim Brandt: 1884, 2016. Öl auf Leinwand, 90 x 90 cm
Wer den Maler jedoch zu einzelnen Bildtiteln, Szenen und Symbolen befragt, wird konkrete biographische Hinweise bekommen. Ob sein System aus Doppeldeutungen, bekannten Zitaten, historischen Anklängen und biographischen Hinweisen Fehlinterpretationen vermeiden kann, ist jedoch fraglich, vor allem wenn sich zwei oder drei Generationen später Kunsthistoriker an die Arbeit machen sollten. Dies ist schon bei berühmteren Werken gründlich schief gegangen: Ob es sich beispielsweise bei „La Gioconda“, die wir auch unter dem Namen „Mona Lisa“ kennen, um eine Kaufmannsgattin, eine Fürstentochter, um Leonardos Geliebte, um eine Idealfigur oder vielleicht sogar um einen jungen Mann gehandelt hat (alle diese Deutungen hat es gegeben), wissen wir auch nach Jahrhunderten der Forschung nicht. Allerdings muss Malerei nicht immer eindeutig sein, sondern darf die Phantasie des Betrachters durchaus beflügeln. Hier hat der Kuckuck Visionen, vielleicht, in welcher der vielen Hütten er sein Nest bauen soll. Möglicherweise sucht der Maler selbst nach einer neuen Heimat. Beide machen den Betrachter zu ihrem Komplizen, der durchaus seine eigenen visionären Interpretationen haben darf. Was mich von Anfang an fasziniert hat, ist, dass es hier einen jungen Künstler gibt, der nicht nur hervorragend malen kann, sondern darüber hinaus auch über Humor, Allgemeinbildung und Sprachvermögen verfügt und es mithilfe dieser Mittel vermag, unmittelbar eine Konversation mit den Betrachtern seiner Bilder zu eröffnen.
Nachdem seit 2014 mehrere Künstler von der Nürnberger Kunstakademie bei Kunst & Co zu Gast waren (wir erinnern uns unter anderem an den großartigen Stephan Haimerl), zeigt jetzt mit Maxim Brandt ein Landeskind seine Werke. Brandt studierte nämlich von 2008 bis 2015 an der Muthesius-Kunsthochschule in Kiel bei Jürgen Parthenheimer und Antje Majewski. Er ist für mein Empfinden einer der profiliertesten Absolventen dieser Hochschule aus den letzten Jahren. 2014 erhielt er ein Arbeitsstipendium der Kulturstiftung des Landes Schleswig-Holstein, war mehrfach für den Muthesius-Preis sowie für den Gottfried-Brockmann-Preis nominiert und seine Bilder waren daher auch auf den entsprechenden Ausstellungen zu sehen. 2014 arbeitete er als Artist in Residence am College of Fine Arts an der Universität in Guangzhu in China (der Titel eines seiner Gemälde, „Made in China“, weist darauf hin). Seit 2010 hat er an zahlreichen Ausstellungen in Schleswig-Holstein, Hamburg und Berlin, in Schweden, Rumänien, Belgien und China teilgenommen. Einzelausstellungen hatte er in Schleswig-Holstein und Dänemark. Inzwischen lebt und arbeitet er in Berlin, wo die Kunst- und Galerienszene für einen jungen arrivierten Künstler natürlich weitaus interessanter ist als bei uns in der Provinz. Umso mehr freue ich mich, dass er die Einladung nach Flensburg angenommen hat.
Geboren ist Maxim Brandt 1986 in Kertsch in der Ukraine, einer Hafenstadt im Osten der Halbinsel Krim. Ohne Künstler aus Osteuropa wäre die Entwicklung der deutschen Kunst undenkbar, und das gilt für die Literatur und die Musik ebenso: Modest Mussorgskis „Bilder einer Ausstellung“ beispielsweise sind unbestritten ein Lieblingsstück der Deutschen. Marc Chagall, Kasimir Malewitsch und El Lissitzki arbeiteten, lebten oder studierten in Deutschland. Vor allem das Berlin der Zehner- und Zwanzigerjahre war eine attraktive Metropole für Künstler aus Russland, der Ukraine und Polen und ist es heute wieder. Aber auch in München und Bayern kann die Entwicklung der abstrakten und der expressionistischen Kunst ohne Wassily Kandinsky, Alexej Jawlensky, Marianne Werefkin und viele andere nicht erzählt werden. Ein Namensvetter unseres heutigen Künstlers, der Pole Józef Brandt, wurde 1878 Professor an der Münchner Kunstakademie und war Mittelpunkt der viele Hundert Künstler umfassenden Münchner Malerschule. Er ist heute nur deshalb unbekannt, weil Gemälde von Tataren- und Kosakenkämpfen aus der Mode gekommen sind.
Das alles wären historische Marginalien, wenn nicht alle diese Maler von Józef Brandt über Kandinsky und Chagall bis zu Maxim Brandt die Traditionen und Geschichten ihrer Heimat mitgebracht und in die deutsche Kunst eingeführt hätten. Maxim Brandt, dessen Vorfahren und Eltern aus dem Baltikum, aus Russland und der Ukraine stammen, kam als Jugendlicher nach Deutschland. Er beruft sich auf Einflüsse russischer Schriftsteller der Zwanziger- und Dreißigerjahre sowie auf Zeichentrickfilme und Kinderbuchillustrationen der letzten Jahrzehnte der Sowjetunion. Motive aus russischen Märchen, darauf hat der Kieler Kunsthistoriker und Publizist Arne Rautenberg hingewiesen, finden sich überall auf Maxim Brandts Bildern. Wir hingegen sehen den „deutschen Wald“, in dem die Germanen die römischen Legionen in den Wahnsinn und ins Verderben führten und der seit der Romantik zum Sehnsuchtsort der Deutschen wurde. Auf Caspar David Friedrichs Gemälde „Waldinneres“ beispielsweise, zu sehen in der Alten Nationalgalerie in Berlin, entfachen Menschen im Vordergrund ein Lagerfeuer, während hinter dem Zauberwald der Mond aufgeht.
Maxim Brandt: Ferien, 2017. Öl auf Leinwand, 120 x 120 cm
Und wir sehen bei Maxim Brandt viel echtes Holz, Symbol für deutsche Qualität und Wertarbeit, das bei näherer Betrachtung aber ziemlich roh zusammengezimmert ist, in sich zusammenbricht, während noch der Schornstein raucht oder einfach nur aufgemalt ist. Das soll erstmal ein Maler schaffen: Holz so zu malen, dass es wie aufgemalt wirkt. Das ist Oberfläche und schöner Schein, wie er auch in der Dönerbude um die Ecke zu sehen ist. Aber auch in russischen und ukrainischen Märchen ist der Wald allgegenwärtig: „Eines Tages, mitten in einem harten, kalten Winter, beschloss die Stiefmutter, dass das arme Mädchen in den tiefen Wald gebracht und sich selbst überlassen werden sollte.“ (Das Märchen von Väterchen Frost) „Es waren einmal ein Großvater und eine Großmutter, mit denen lebte ihre kleine Enkeltochter Mascha. Eines Tages wollte Mascha in den Wald gehen, um Pilze zu sammeln.“ (Das Märchen von Mascha und dem Bären) Und auch die berühmteste Gestalt der slawischen Mythologie, die Hexe Baba Jaga, lebt in einem dunklen Wald, wo ihre Hütte auf Hühnerfüßen steht (Sie kennen das aus Mussorgskys „Bildern einer Ausstellung“) – auf Hühnerfüßen deshalb, damit sich die Hütte mit ihrem Eingang dem Wanderer zuwenden kann, egal aus welcher Richtung er kommt, und den die Hexe dann sehr viel leichter fressen kann. Auch für Maxim Brandt, so verrät er uns, bekommen alle diese gemalten Hütten immer mehr wesenhaften Charakter. Ein sowjetischer Märchenfilm übrigens, „Abenteuer im Zauberwald“ aus dem Jahr 1964, vereinigte viele dieser Motive.
Maxim Brandt: Tropicus, 2015. Öl auf Leinwand, 120 x 120 cm
Maxim Brandt: One of the Few, 2015. Öl auf Leinwand, 120 x 120 cm
Wir sehen bei Maxim Brandt aber auch moderne Sehnsuchtsorte: unter dem Titel „Tropicus“ eine intakte Hütte mit einem idyllischen Kakteengarten vor einem tropischen Palmenwald; an ähnlichem Ort eine futuristisch gestaltete und bemalte Hütte mit der violetten Neonreklame „Limpopo“, die für jene nördliche Provinz in der Republik Südafrika steht, in der der berühmte Krüger-Nationalpark liegt, und (unter dem Titel „Vorgestern“) eine mit Palmen, Phantasiegewächsen und Riesenpilzen üppig bewachsene Tropeninsel, um die – vermutlich Deutsche – begonnen haben, einen Holzzaun zu errichten. Maxim Brandts Vision vom „Urlaub“ (so der Bildtitel) im romantischen deutschen Wald, hinter dem zur Nachtstunde der Mond hell aufleuchtet, wird durch eine grünliche Wasserleiche konterkariert, die davor mit ausgebreiteten Armen auf der Oberfläche eines Teichs schwimmt, über dem bunte Lichter tanzen. Und auch wenn der Maler uns versichert, dieser schwimmende Mensch würde dort tatsächlich nur Urlaub machen und es dann auch so in der Zeitung steht, lasse ich mir meine Phantasie und die damit verbundene feine Ironie des Bildtitels nicht nehmen.
Maxim Brandt: Vorgestern, 2015. Öl auf Leinwand, 90 x 120 cm
Maxim Brandt: Urlaub, 2015. Öl auf Leinwand, 65 x 50 cm
Wer nun meint, meine Damen und Herren, Maxim Brandts Gemälde würden vornehmlich aus kulturellen – oder besser interkulturellen – Anspielungen bestehen und Geschichten erzählen, die in dem einen oder anderen Wald spielen, der sieht sich alsbald getäuscht. Die weitgehende Kohärenz der Flensburger Ausstellung liegt vor allem in der Auswahl begründet, die einen Teil der neuesten Bilder zeigt. Wer auf die Werkübersicht auf Maxim Brandts Webseite sieht, findet eine üppige Bildwelt, in der Matrjoschkas auf spiegelnden Oberflächen schwimmen, Maskenmenschen um einen Tierschädel beim Wein sitzen, Alltagsgegenstände, Tiere, Spielgeräte, mysteriöse Apparate und abstrakte Formen in Innenräumen Bezug zueinander nehmen.
Maxim Brandt: Schamane (Politics of Visions), 2016. Öl auf Leinwand, 90 x 120 cm
Brandt kombiniert in nahezu fotorealistischer Malerei Bildelemente, die in der Realität nicht zueinander gehören. Die Neonreklame „Limpopo“ hat vermutlich nie dort im Tropenwald gehangen, die vermeintliche Wasserleiche, der Herr im Anzug, ein „Schamane - Die Politik der Visionen“ sind niemals im deutschen, russischen oder ukrainischen Wald geschwommen, gestanden oder spazieren gegangen und zwar ebenso wenig wie die beiden Hasen, die über die Wasseroberfläche eines Teichs hoppeln und die Brandt während seines Aufenthalts in China eingefallen sind. Die Geschichten erzählt nicht der Maler, sondern sie entstehen im Kopf des Betrachters, der auf seine Erfahrungen, Kenntnisse oder im Unterbewusstsein gespeicherten Bilder zurückgreift. Dazu gehören auch Bildzitate aus einhundert Jahren Kunstgeschichte wie Caspar David Friedrichs „Waldinneres“ oder die in Picasso-Manier gemalten Augen des Schamanen, der seine politischen Visionen offenbar aus ganz verschiedenen Blick-Richtungen gewinnt. Ihnen, meine Damen und Herren, werden vermutlich ganz andere Geschichten, Interpretationen und Visionen einfallen als mir.
Maxim Brandt: Made in China, 2014. Öl auf Leinwand, 190 x 100 cm
Maxim Brandt transformiert realistische Bildobjekte, die er aus Alltagszusammenhängen herauslöst und neu installiert – ein Kompositionsprinzip, das aus dem Surrealismus geläufig ist. Tatsächlich erinnern einige seiner Bilder etwa an René Magritte: das Tableau mit den fotorealistisch gemalten Pilzen an Magrittes „Verrat der Bilder oder Ceci n’est pas une pipe“ (Dies ist keine Pfeife) oder an dessen Gemälde „Der Schlüssel zum Träumen“ mit einem Tableau aus vier Gegenständen, die mit falschen Begriffen beschrieben sind; Brandts Ausblick in die Landschaft durch eine hölzerne Wand, der ebenso gut ein gemaltes Rundbild auf dieser Wand sein kann, an Magrittes zerbrochenes Fenster, auf dessen Glasscherben Fragmente der Landschaft erhalten geblieben sind; die bei Brandt durchs Bild laufenden Hasen und Hähne an die springenden Löwen und Tiger bei Dalí; Brandts Tropeninsel an Zauberwälder von Max Ernst, der reale Strukturen des Holzes jedoch nicht malte (wie Brandt) sondern durch Frottage (also durch Abreibungen von originalem Holz mit Graphit) in seine Bilder übertrug.
Maxim Brandt: Holy Problem, 2015/2017. Öl auf Leinwand, 60 x 80 cm
Die Surrealisten folgten dem 1924 von André Breton formulierten „Ersten surrealistischen Manifest“, das ihr kreatives Prinzip (also Bildobjekte aus der Realität herauszulösen und zu Traumgebilden neu zusammenzufügen) als psychischen Automatismus beschreibt, der die reine Funktion des Denkens widerspiegelt und zwar unter Abwesenheit der Vernunft, ästhetischer oder moralischer Grundsätze, ausgeliefert der Allmacht des Traums und dem unbefangenen Spiel der Gedanken. Maxim Brandt beruft sich auf eine oder besser zwei Gruppen aus der Russischen Avantgarde der Zwanzigerjahre, die Tschinari und die Objerju, denen unter anderem der Schriftsteller Daniil Kharms und der existenzialistische Philosoph Leonid Lipawski angehörten.
Beide beschäftigten sich mit Sprache als Ursprung der Welt und der Benennung von Gegenständen als Ursache für deren Existenz. Ihre Werke bestehen aus Aneinanderreihungen von Begriffen, die inhaltlich, grammatisch oder lautmalerisch aufeinander Bezug zu nehmen scheinen, deren Ursprung, Kombination oder Neuschöpfung jedoch aus dem Unterbewusstsein, der Welt der Gefühle und der intellektuellen Erfahrungen an die Oberfläche drängt. „Hier ist die Welt, die keinen Namen hat. Ich erschuf sie geistesabwesend, ein unerwartetes Gelingen. Sie verdankt mir ihre Existenz. Aber ich kann nicht ihr Ziel und ihren Sinn erfassen,“ zitiert Brandt in einem Statement über seine Kunst den Schriftsteller Leonid Lipawski. Jedenfalls ist hier, im unterbewussten Ursprung der bildlichen Gegenstände, die enge Verbindung zum Surrealismus zu finden. Brandts Bilder bestehen wie die poetischen Schöpfungen der russischen Existenzialisten oder die Traumbilder der Surrealisten aus zufällig aufeinandertreffenden Objekten, die in keinem wirklichen Zusammenhang stehen, die der Betrachter jedoch zu eigenen Geschichten verbinden kann. In der Sprachwissenschaft stünden diese Werkschöpfungen irgendwo zwischen dadaistischen Lautgedichten und absurder Literatur. In der bildenden Kunst sind sie der Collage oder Montagen nahe, wie sie John Heartfield, Kurt Schwitters oder Max Ernst im Spannungsfeld zwischen Dada und Surrealismus geschaffen haben.
Maxim Brandt: Die Notwendigkeit des Unnötigen, 2013. Öl auf Leiwand, 145 x 145 cm
Auch in ihrem Herstellungsprozess stehen Maxim Brandts Gemälde den Collagen und Montagen der Dadaisten und der Surrealisten nahe. Grundmaterial für seine bildlichen Visionen sind fotografische Einzelbilder, die er am Computer zu Kompositionen montiert und die er dann in Malerei überträgt. An seinem Gemälde „Die Notwendigkeit des Unnötigen“, auf dem der Vorderteil eines Hahns links ins Bild hinein und das Hinterteil desselben Vogels am rechten Bildrand wieder hinausspaziert, kann man den technischen Vorgang der Bildmontage am besten beobachten. Bei der Übertragung in die Malerei verändert der Künstler jedoch immer wieder Farben oder Lichtverhältnisse, fügt neue Requisiten hinzu oder reduziert die Komposition. Computer oder nicht, letztlich unterscheidet sich dieser Vorgang auch nicht wesentlich von dem früherer Jahrhunderte, als Maler ihre Gemälde aus Einzelstudien nach der Natur, aus gerasterten Vergrößerungen oder Verkleinerungen, nach Fotografien, einzelnen Fotostudien oder mithilfe von Lichtprojektionen auf der Leinwand zu neuen, immer originären Kompositionen zusammenfügten. Die Originalität des Gemäldes liegt im Ergebnis der reinen Malerei.
Vielleicht erleben wir hier, verehrte Freunde der Kunst, die Entstehung eines Jahrhundertwerks. Der Anfang jedenfalls ist gemacht.
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Maxim Brandt // Statement
In meinen Arbeiten versuche ich eine absurde, poetische Realität zu erschaffen, die eine atmosphärische Rätselhaftigkeit ausstrahlt. Dabei bewege ich mich zwischen Wirklichkeit und Fiktion, zwischen Gegenwart und Erinnerungen. Alltagsmotive werden dekonstruiert und wieder miteinander rekombiniert. Es entstehen neue Sinnverbindungen zwischen den Gegenständen, die oft unbegreiflich oder irrational erscheinen. Das Ergebnis davon sind meist absurde, mehrdeutige Traumbilder, die eine eigenständige Logik besitzen.
Meine innere und äußere Welt, meine Biografie und meine Umgebung dienen mir oft als Ausgangsmaterial, das aber nach der Bearbeitung eine allgemeine Bedeutung bekommt. Die ziemlich erzählerisch aussehenden Bilder sind in Wirklichkeit keine Geschichten. Es ist ein Zusammentreffen zahlreicher Objekte, das nur hier und jetzt funktioniert. Das richtige Kombinieren von Gegenständen ist vergleichbar mit dem Reimen von Worten in einem Gedicht. Beim Reimen ist oft ein gut passendes Wort viel wichtiger für die Harmonie des Gedichtes, als die eigentliche Bedeutung dieses Wortes, welche sinngemäß unpassend ist.
Meine Malerei steht formal gesehen analog zu der suprasyntaktischen Zaum-Sprache, die gerne von Daniil Charms benutzt wird. Genauso wie Charms aus Substantiven, Adjektiven, Verben und anderen Wortarten ein Text mit einer eigenen Logik kombinierte, mache ich aus diversen Objekten, die aus verschiedenen Fotos ausgeschnitten sind, eine Fotomontage, die ich dann in die Malerei übersetze. In beiden Fällen sind es reine, einer Funktion entzogene Wörter bzw. Gegenstände, aus denen man eine neue poetische Wirklichkeit kreiert. Für mich bedeutet diese alogische Anordnung der Gegenstände im Raum eine absolute Poesie. Ich versuche dem Betrachter Orte zu zeigen, die er schon kennt, aber noch nie gesehen hat.
Oft setze ich diverse künstlerische Elemente in die Waldlandschaften, als Spuren des Menschlichen, als einen Kontrast zu der Natur (Made in China). In einigen neuesten Gemälden (The House of the Rising Sun, Tropicus, One oft the Few) kombiniere ich skulpturale und architektonische Elemente mit südlichen, tropischen und exotisch anmutenden Palmlandschaften, in welchen das Absurde auf den Begriff des Exotismus trifft. Als Einfluss dienen mir oft alte sowjetische Zeichentrickfilme 70er und 80er Jahre wie z. B. „Doktor Ajbolit“, ein Doktor, der in einem irrealen exotischen Land kranke Tiere heilt. Damals arbeiteten viele inoffizielle Künstler in dem Bereich der Kinderbuchillustration und Zeichentrickfilme, wo sie viel mehr künstlerischer Freiheit hatten als in der bildenden Kunst. Somit sahen viele Zeichentrickfilme oft ziemlich surreal aus.
Das Absurde oder Poetische in der Kunst zeigt die Unvollkommenheit der menschlichen Beurteilung der Wirklichkeit, die sich auf dem Rationalismus gründet. Sie funktioniert wie ein Wecker für Menschen, die in einem ‚logischen Traum’ schlafen. So habe ich versucht in der Arbeit „Winterabend“ absolut verschiedene Objekte als Ebenen oder wie ein Bild im Bild zentral aufeinander darzustellen. Das Einzige, was sie miteinander verbindet ist der bräunliche Ton. Der Betrachter dieses Werkes wird unwillkürlich in einen unendlichen interpretatorischen Prozess einbezogen, wenn das Vorhaben des Autors unbekannt bleibt. Interpretationen können sich von einem Rezipient zum anderem völlig unterscheiden. Das Kunstwerk bleibt aber immer gleich. Die Unendlichkeit an Deutungen bedeutet, dass das Kunstwerk praktisch nichts bedeutet, weil es unendlich viele Varianten an Deutungen haben kann, die sich von einem Rezipient zum anderen variieren, und somit ist keine davon die richtige Variante.